Pressemitteilung
17.04.2023

Auf die Nationalstaaten kommt es an: Wissenschaftler geben Empfehlungen zur Umsetzung des Digital Services Act

Der europäische Digital Services Act (DSA) ist beschlossene Sache. Doch, ob das Gesetzespaket erfolgreich oder ein Papiertiger wird, hängt von der nationalen Umsetzung ab. Welche Faktoren dabei entscheidend sind, zeigt ein aktuelles Policy Paper der Hertie School.

Berlin, 17. April 2023. Soziale Medien dienen nicht nur der Vernetzung und dem Austausch von Katzenbildern. Hate-Speech, Falschinformationen oder Polarisierungseffekten gehören ebenso zum Alltag von sozialen Diensten. Die EU hat die Regulierung von Twitter und Co. seit einiger Zeit verschärft und sich von der Hoffnung auf erfolgreiche Selbstregulierung verabschiedet. Um die Tech-Giganten, die hinter den sozialen Netzwerken stehen, zu zähmen, hat Brüssel im Oktober 2022 den Digital-Services-Act (DSA) erlassen. Die Umsetzung des Gesetzespakets obliegt den Nationalstatten. Besonders im Fokus stehen dabei sogenannte Koordinationsstellen (Digital Service Coordinators, DSC). Dieses Frühjahr will die Bundesregierung bekannt geben, wo und wie diese Koordinierungsstelle im deutschen Behördengeflecht angesiedelt werden soll. Welchen Anforderungen sie genügen müssen, um den DSA erfolgreich umzusetzen, haben Wissenschaftler:innen des Centre for Digital Governance der Hertie School untersucht. In einem Positionspapier geben die Autor:innen Daniela Stockmann, Professorin für Digital Governance am Centre for Digital Governance der Hertie School und Postdoktorand Philipp Darius drei Handlungsempfehlungen.

Daniela Stockmann: Agile Organisationen sind wichtig, um Tech-Giganten die Stirn zu bieten

„Damit der DSA nicht als Papiertiger endet, müssen die nationalen Koordinierungsstellen perfekt aufgestellt und ausgestattet sein, um es mit globalen Tech-Giganten aufnehmen zu können. Eine agile Organisationsstruktur und ein enger Austausch mit der Wissenschaft gehören ebenso dazu wie europaweite Mindeststandards für die Befugnisse und Reichweite der Koordinierungsstellen. Eine Schlüsselrolle nehmen die Behörden in Irland ein, denn hier sind europaweit die meisten Tech-Firmen angesiedelt“, so Daniela Stockmann, Co-Autorin der Studie.

„Forscher:innen brauchen zuverlässige Zugänge zu Forschungsdaten und dürfen sich nicht auf den guten Willen der Plattformen verlassen. Andernfalls wird es kein besseres Verständnis für die Risiken und sozialen Auswirkungen von sozialen Medien und Onlinesuchplattformen geben“ so Philipp Darius Postdoktorand und Co-Autor der Studie.

Drei Handlungsempfehlungen, um den DSA praxistauglich umzusetzen

Im Detail formulieren die Autoren drei wesentliche Handlungsempfehlungen, die sich auf die Organisation der Koordinierungsstellen aber auch das europaweite Zusammenspiel der Behörden beziehen: 

  1. Austausch mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft fördern
    Die Aufsichtsbehörde sollte möglichst breiten Zugang zu wissenschaftlicher Forschung und Ergebnissen haben und bei der Formulierung und Umsetzung von Zielen und Entscheidungen Forschungsergebnisse berücksichtigen. Dazu gehört auch der Zugang zu Daten von den Plattformen und Tech-Konzernen, zur Analyse und Bewertung der Chancen und Risiken sozialer Dienste.
     
  2. Agile Organisationsstruktur
    Die Koordinierungsstellen werden europaweit voraussichtlich in bestehende Behörden integriert und eingeordnet. Für den Erfolg der Koordinierungsstellen ist jedoch eine unabhängige, schnelle und flexible Arbeit ein wesentlicher Schlüsselfaktor. Daher ist es laut  Autor:innen nicht nur entscheidend, dass die DSCs zeitnahe eingerichtet werden, sondern auch, dass sich ihre besonderen Bedürfnisse in der Organisationsstruktur widerspiegeln. Die Tech-Branche entwickelt sich schnell. Daran müssen sich auch die Gesetzgeber und Regulierungsbehörden anpassen. 
     
  3. Europäische Mindeststandards, um Konkurrenzkampf zu vermeiden
    Die Konzerne hinter sozialen Medien suchen sich oft Standorte aus, an denen sie von steuerlichen oder anderen ortsgebundenen Faktoren profitieren. Die Befugnisse und Durchsetzungskraft der nationalen Koordinatoren für digitale Dienste sollten deshalb auf einem vergleichbar starken Niveau sein, um zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf zur Ansiedlung von Unternehmen zu vermeiden. Eine herausstechende Rolle könnte Irland einnehmen. Weil dort besonders viele soziale Netzwerke ihr europäisches Hauptquartier haben, sollten ein besonderes Augenmerk auf der Ausstattung der Koordinierungsstelle in Irland liegen.

Über die Autor:Innen

Daniela Stockmann ist Professor of Digital Governance an der Hertie School. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt ist die weltweite Entwicklung hin zur Digitalisierung der Gesellschaften und die damit verbundenen Herausforderungen für politische Entscheidungsträger und Bürger. Ihr derzeitiges Forschungsprojekt untersucht die Auswirkungen sozialer Medien auf die Bürgerbeteiligung, es wird durch einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) finanziert. Sie hat an der University of Rochester und der School of Oriental and African Studies an der University of London studiert und 2007 an der University of Michigan, Ann Arbor promoviert. Vor ihrer Tätigkeit an der Hertie School lehrte sie als Associate Professor of Political Science an der Universität Leiden. Für ihr Buch "Media Commercialization and Authoritarian Rule in China (Cambridge University Press, 2013)" erhielt sie 2015 den vom Shorenstein Center on Media, Politics, and Public Policy an der Harvard Kennedy School verliehenen Goldsmith Book Prize. 

Darius Philipp ist Postdoktorand an der Hertie School in Berlin und Mitglied des Centre for Digital Governance. Mit seinem akademischen Hintergrund in Ökonomie und Soziologie verbindet er Forschung zu digitalen Plattformen und Politik mit empirischen Methoden. Er ist assoziierter Forscher im ERC-finanzierten internationalen Forschungsprojekt "Digital Campaigning and Electoral Democracy" (DiCED). Außerdem arbeitet er als Berater im öffentlichen und privaten Sektor für Datenstrategie und Kommunikation. In diesen Funktionen hat er mit Medienberatungsunternehmen in Großbritannien und Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet, z.B. als Trainer und Autor für den Business Council for Democracy in Deutschland.

Über die Hertie School
Die Hertie School in Berlin bereitet herausragend qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben im öffentlichen Bereich, in der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft vor. Sie bietet Masterstudiengänge, Executive Education und Doktorandenprogramme an. Als universitäre Hochschule mit interdisziplinärer und praxisorientierter Lehre, hochklassiger Forschung und einem weltweiten Netzwerk setzt sich die Hertie School auch in der öffentlichen Debatte für „Good Governance“ und moderne Staatlichkeit ein. Die Hertie School wurde 2003 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung gegründet und wird seither maßgeblich von ihr getragen. Sie ist staatlich anerkannt und vom Wissenschaftsrat akkreditiert. www.hertie-school.org

Pressekontakt
Alina Zurmühlen
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Tel.: +49 (0)30 / 259 219 246